Logo Erbe Schinkel

English

Die Zauberflöte. Oper von Wolfgang Amadeus Mozart. Entwurf zur 2. Dekoration. Die Sternenhalle der Königin der Nacht

Zeichnung, Bühnenbild

Schinkel, Karl Friedrich (13.3.1781 - 9.10.1841), Zeichner

um 1815

handgeschöpftes Papier (vergé)

Gouache, Zirkelspuren

Blattmaß: 46,4 x 61,5 cm

Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Inv.-Nr.: SM 22c.121

Es ist das wohl bekannteste Bühnenbild der Welt und zugleich eine der eindrucksvollsten Bilderfindungen des 19. Jahrhunderts: Karl Friedrich Schinkels „Sternenhalle der Königin der Nacht“, der Prospekt zur zweiten Szene des ersten Akts der „Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart (Musik) und Emanuel Schikaneder (Libretto). Der Architekt, Maler, Zeichner und Designer Schinkel hatte sich schon ausführlich mit der Technik und Wirkung perspektivischer Monumentalbilder beschäftigt, als er mit den Entwürfen für die „Zauberflöte“ (Premiere in der Berliner Oper am 18.1.1816) unter der Intendanz Carl von Brühls seine kurze, aber glänzende Karriere als Bühnenbildner antrat. Die originale Szenenanweisung schreibt anlässlich des ersten Auftritts der Königin der Nacht mit deren Rezitativ und Arie eine überraschende Umwandlung der Bühne von einer felsigen Landschaft mit Rundtempel in einen Innenraum vor: „Die Berge theilen sich aus einander, und das Theater verwandelt sich in ein prächtiges Gemach. Die Königin sitzt auf einem Thron, welcher mit transparenten Sternen geziert ist.“ (Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte. Eine große Oper in zwei Aufzügen, von Emanuel Schikaneder, Wien: Ignaz Alberti, 1791). Unter Schinkels Händen wird der Thron zum Sternenzelt, ein realer Gegenstand zum entgrenzten Raumgebilde. Die Faszination des Bildes gründet in dessen klarer Symmetrie, dem Kontrast zwischen der rahmenden warmen und der beherrschenden kühlen Farbigkeit, den Anklängen an einen barocken, mit wirkungsvollen Effekten operierenden Bildraum sowie der kühnen Umdeutung zweier bekannter Motive aus der christlichen Ikonographie: der Regina coeli als „Mondsichelmadonna“, als Himmelsherrscherin, die das Böse besiegt, sowie ihrer Präfiguration, dem sternenbekrönten apokalyptischen Weib (Apokalypse 12).
In kaum einem anderen Werk Schinkels wird der von ihm immer wieder reflektierte Dualismus von Natur und Architektur in einem so hohen Abstraktionsgrad auf den Punkt gebracht: einerseits assoziiert die Szene einen Ausschnitt des nächtlichen Kosmos, vor dem im unteren Drittel und in den oberen Zwickeln tief gestaffelte, natürlich beleuchtete dunkle Wolkenformationen aufziehen; andererseits konstruiert Schinkel eine im Längsschnitt halbierte Kuppelhalle, deren Gewölberippen aus dreireihigen, sich nach oben verjüngenden und im Scheitelrund verlierenden Sternenketten bestehen. Den unteren Abschluss bildet eine horizontal durchlaufende Reihe von Sternen, die wie ein Tambour auf der Wolkenzone liegt. Die zentrale Figur der Königin durchschneidet diesen Ring genau mit der Mitte ihrer Gestalt und vermittelt so zwischen der irdischen Sphäre und der filigranen Tektonik ihres zauberhaft aufscheinenden Doms.
Bezogen auf das Thema der Oper findet die Metaphorik der dunklen, offenen und bewegten Form auf der Schattenseite des Geschehens ihr Gegenstück im geometrisch lichten "Sonnentempel" des Sarastro, der deutlich das positive Prinzip verkörpert (12. Dekoration der Zauberflöte; Online-Katalog).
Text: Heinrich Schulze Altcappenberg (2011)

Iconclass:

48C811 * Zeichnung, Entwurf eines Bühnenbilds (Ausstattung, Berufe, Bühne, Bühnenbild, Entwurf, Gesellschaft, Kultur, Kunst, Künstler, Kunstwerk, Zeichnung, Zivilisation)

24F2 * Sterne am Firmament (Firmament, Himmel, Himmelskörper, Natur, Stern)

24B1 * zunehmender Mond; in dieser Form: ) (Himmel, Himmelskörper, Mond, Mondsichel, Natur, zunehmender Mond)

23R140 * Personifikation der Nacht; Ripa: Nox; Notte, Carro della notte, Serenità della notte (carro della notte, Nacht, Natur, natürlicher Tag, notte, Nox, Personifikation, Ripa, Cesare, serenità della notte, Tag, vierundzwanzig, Zeit)

48C8622 * Opernsängerin (Aufführung, Berufe, Bühne, Drama, Frau, Gesellschaft, Kultur, Kunst, Künstler, Kunstwerk, Musikdrama, Oper, Opernsänger(in), Sänger(in), Zivilisation)

82AA(KÖNIGIN DER NACHT) * weibliche literarische Charaktere (mit NAMEN) (Charakter, Dichtkunst, Drama, Fiktion, Frau, literarische Figur, Literatur, Roman)

83(MOZART, Zauberflöte) * Szenen aus bestimmten Werken der Literatur (mit NAMEN des Autors und Titel des Werks) (Autor, Buch, Dichtkunst, Fiktion, literarisches Werk, Literatur, Maskerade, Name, Roman, Schriftsteller, Stück (Drama), Szene, Titel)

Literatur ⇓

Harten, Ulrike: Die Bühnenentwürfe, Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk, Bd. 17, 2000, S. 133 Abb. Kat.-Nr. 9, 140-142.

Hartzell, Freyja: Otherworldly Worldliness: Romantic Fantasy an Biedermeier Desire in Schinkel`s Berlin, Centropa. A journal of central european architecture and related arts 2010, S. 84 f. mit Abb. 2.

Haus, Andreas: Karl Friedrich Schinkel als Künstler. Annäherung und Kommentar, 2001, S. 56 mit Abb, S. 138 f. mit Abb. 132.

Haus, Andreas: Perspektive als Idee. Schinkels architektonisches Zeichnen im politischen Kontext seiner Zeit, Schulze Altcappenberg, Hein-Th.; Johannsen, Rolf H.: Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie. Das Studienbuch, Berlin/ München 2012, S. 60 f. mit Abb. 8.

Karl Friedrich Schinkel 1781-1841, Berlin (Ost) 1980, S. 61, 65 Kat.-Nr. 112 mit Farbabb.

Krippner, Friederike: Zwischen "symbolischer Andeutung" und "historischer Treue", Karl Friedrich Schinkels Arbeiten für das Berliner Hofthater, Schulze Altcappenberg, Hein-Th.; Johannsen, Rolf H.: Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie. Das Studienbuch, Berlin/ München 2012, S. 78 f. mit Abb. 2.

Roßner, Uwe: Reform und Wirkung. Das bühnengestalterische Schaffen von Karl Friedrich Schinkel zwischen 1815 und 1829, Ehler, Melanie; Müller, Matthias (Hrsg.): Schinkel und seine Schüler. Auf den Spuren großer Architekten in Mecklenburg und Pommern 2004, Abb. S. 149.

Schulze Altcappenberg, Hein-Th., Johannsen, Rolf H. und Lange, Christiane (Hrsg.): Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie, 2012, S. 136 f. Kat.-Nr. 88 mit Abb.

Verwiebe, Birgit (Hrsg.): Karl Friedrich Schinkel und Clemens Brentano. Wettstreit der Künstlerfreunde, 2008, S. 100 Kat.-Nr. 32 mit Abb.

Wolzogen, Alfred von (Hrsg.): Aus Schinkel's Nachlaß. Reisetagebücher, Briefe und Aphorismen, 3 Bde., Berlin 1862-1863. Bd. 4: Katalog des künstlerischen Nachlasses, Berlin 1864. Reprint 1981, 1862-1864, Bd. 2, 1862, S. 273; Bd. 4, 1864, S. XIII, 579

PURL:

http://schinkel.smb.museum//index.php?id=1504348

Provenienz ⇓

Berlin; private Sammlung; Gropius, Carl Wilhelm
vierter Vorbesitzer

Berlin; öffentliche Sammlung; Preußisches Kultusministerium, Schinkel-Museum
dritter Vorbesitzer
1850 - 1879

Berlin; öffentliche Sammlung; Technische Hochschule Berlin, Schinkel-Museum
zweiter Vorbesitzer
1879 - 1923

Leningrad; öffentliche Sammlung; Eremitage
zeitweilige Verwaltung
Mai/Juni 1945 - 1958

Berlin; öffentliche Sammlung; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
erster Vorbesitzer
1923 - 1992

Berlin; öffentliche Sammlung; Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer, Kupferstichkabinett
Verwalter
1992

Foto: 2011 ©
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Anders, Jörg P.

/ 6845